INTERVIEW MIT DEM VORSTANDSVORSITZENDEN
„Speziell im Recycling sehe ich großartige Chancen für Aurubis“
Herr Harings, Sie sind nun knapp ein halbes Jahr am Ruder von Aurubis. Wie haben Sie die ersten Monate empfunden?
Harings: Es war eine hochspannende und gleichzeitig sehr intensive Zeit. Ich freue mich über das herzliche Willkommen bei Aurubis und bin stolz, Teil dieses engagierten Teams zu sein. Aber ich kam auch in einer Phase einschneidender Entscheidungen für das Unternehmen, viel Zeit zum Ankommen blieb also nicht.
Das stimmt. Gleich im ersten Monat Ihrer Amtszeit konnten Sie die Akquisition der Metallo-Gruppe verkünden.
Harings: Richtig, eine wegweisende Transaktion für unser Unternehmen und eine sehr erfreuliche dazu. Denn der Kauf der Metallo-Gruppe, der noch unter dem Vorbehalt der Zustimmung durch die Europäische Kommission steht, wird uns in Sachen Multi-Metall-Verarbeitung auf eine neue Ebene bringen. Die Kombination der beiden komplementären Geschäftsmodelle stärkt unser Portfolio bei Zukunftsmetallen wie Nickel, Zinn, Zink und Blei deutlich. Sie macht uns zu einem führenden Lösungsanbieter in Europa, wenn es um die Verarbeitung von komplexen Recyclingrohstoffen geht. Metallo und Aurubis eint zudem das Streben nach einer nachhaltigen Metallproduktion: Zusammen werden wir noch mehr umweltschonend hergestelltes und recyceltes Material ausbringen. Etwas, das mir sehr am Herzen liegt. Und etwas, das wir uns in Europa bewahren müssen!
„Wir sind mit unserer Multi-Metall-Strategie nach wie vor auf dem richtigen Weg! Und wir werden sie weiter umsetzen.“ROLAND HARINGS
VORSTANDSVORSITZENDER
Stichwort Europa: Die Politik strebt nach Klimaneutralität bis 2050. Was heißt das für Aurubis?
Harings: Ich bin überzeugt, dass wir unsere Produktion so klimaneutral wie möglich gestalten müssen. Und mein Ziel ist es, das auch so schnell wie möglich zu erreichen! Schon heute arbeiten wir als Industrieunternehmen intensiv daran, Teil der Lösung bei der Energiewende zu sein. Wir verbessern stetig unser Energiemanagement, optimieren Wertstoffkreisläufe innerhalb unserer Wertschöpfungskette und schauen uns neue Ideen und Technologien an. Beispielsweise loten wir aktuell aus, wie wir durch den Einsatz von Wasserstoff in der Produktion fossile Brennstoffe verdrängen könnten.
Fakt ist aber auch, Aurubis ist heute und wird morgen ein energieintensives Unternehmen bleiben. Das liegt in der Natur der Metallerzeugung. Daher müssen wir in Europa dafür sorgen, dass Metallproduktion wirtschaftlich bleibt – sonst nimmt man ihr hier die Existenzgrundlage. Hierfür brauchen wir auch auf politischer Ebene verlässliche Rahmenbedingungen, die unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit sicherstellen.
WIE SEHEN DENN AKTUELLE BEISPIELE FÜR DIE CO2-REDUZIERUNG KONKRET AUS?
Harings: Da wäre zum einen unser mehrfach prämiertes Industriewärmeprojekt, mit dem wir heute schon rund 20.000 t CO2 jährlich einsparen und welches das Potenzial für bis zu 140.000 t aufweist. Das allein entspricht über 90 % der Selbstverpflichtung zur CO2-Reduktion, auf die sich Hamburger Unternehmen verständigt haben. Ein weiteres Beispiel ist unsere in diesem Jahr ans Netz gegangene Power-to-Steam-Anlage. Durch die Nutzung von erneuerbaren Energien kann sie den CO2-Ausstoß um bis zu 4.000 t pro Jahr reduzieren. Aber um es auch ganz klar zu sagen: Einen Großteil dieser Reduktion erreichen wir außerhalb der Werksgrenzen. Das heißt, die Einsparungen werden nur begrenzt mit unseren CO2-Emissionen verrechnet. Für uns aber kein Grund, solch sinnvolle Projekte nicht umzusetzen!
„Wir werden auch wieder stärker Wachstumsmöglichkeiten im Ausland in Angriff nehmen.“ROLAND HARINGS
EIN THEMA, DAS SIE OFFENSICHTLICH SEHR BEWEGT.
Harings: Absolut. Darüber hinaus ist mir ein weiteres Thema persönlich wichtig: unser Gesundheits- und Arbeitsschutz. Aurubis ist heute noch nicht da, wo wir hinwollen. Deshalb werden wir künftig noch konsequenter daran arbeiten, insbesondere die Anzahl von Unfällen und Verletzungen deutlich zu reduzieren. Hierfür haben wir unter anderem ein neues Kommunikationskonzept mit dem Namen „10forZero“ entwickelt. Es kombiniert neue Kommunikationsmittel mit modernen Trainingseinheiten. Alles zusammen muss zu einer Verhaltensänderung der Mitarbeiter führen. So wollen wir unserer langfristigen Vision von null Unfällen und Verletzungen rasch näher kommen.
Ein ganz anderes Projekt mussten Sie 2019 stoppen – Future Complex Metallurgy, kurz FCM. Können Sie etwas zu den Hintergründen sagen?
Harings: Selbstverständlich. Vorweg ist es mir aber noch einmal wichtig zu betonen: Der Stopp des internen Wachstumsprojekts FCM, mit dem wir mehr komplexes Material verarbeiten wollten, ist vollkommen losgelöst von unserer Multi-Metall-Strategie zu betrachten. Mit ihr sind wir nach wie vor auf dem richtigen Weg und wir werden sie weiter umsetzen. Bestes Beispiel hierfür ist der Kauf der Metallo-Gruppe, die allein im Multi-Metall-Recycling mehr als zehn Jahre Erfahrung hat.
Nun zu FCM: Vorstand und Aufsichtsrat haben im Juni die Entscheidung getroffen, das Projekt in seiner damaligen Form nicht weiterzuführen. Warum? Insbesondere, weil zu diesem Zeitpunkt klar wurde, dass das Projekt deutlich höhere Investitionen benötigt hätte als bis dato geplant. Damit hätten wir unsere Profitabilitätsziele nicht mehr eingehalten. Die Entscheidung ist uns nicht leichtgefallen, aber sie war folgerichtig. Insbesondere, da zu diesem Zeitpunkt noch keine wesentlichen Anlagen bestellt waren. Wir haben nun mit dem Kernteam eine vollständige Dokumentation des Projekts vorgenommen. Es ist also nichts verloren gegangen, wir sind nur noch einmal „zurück auf Start“. Nach der erfolgreichen Integration von Metallo werden wir uns die Stoffströme in dem dann erweiterten Hüttennetzwerk noch einmal genau anschauen. Zu diesem Zeitpunkt werden wir erneut beraten, welche weiteren Multi-Metall-Projekte künftig noch umgesetzt werden.
Sie haben 2018/19 als Jahr des Übergangs für Aurubis bezeichnet. wo sehen Sie die größten Herausforderungen?
Harings: Das abgelaufene Geschäftsjahr hat gezeigt, dass wir sehr wohl auch interne
Hausaufgaben zu erledigen haben, um uns fit für die Zukunft zu machen. Die ungeplanten
Stillstände in den Werken und unsere Kostenbasis sind zwei Stichworte, die ich hier nennen
möchte. Ohne Frage, 2018/19 war ein Jahr des Übergangs, in dem wir uns für mehrere große
Wartungsstillstände zu wappnen hatten.
Allein in Hamburg investierten wir hierfür im Herbst rund 50 Mio. € in ca. 450 Einzelprojekten.
Um Ihnen mal einen Eindruck zu vermitteln: Neben 750 eigenen Mitarbeitern hatten wir rund 1.200
Mitarbeiter von Partnerfirmen im Einsatz – und das rund um die Uhr! Klar ist aber auch,
ungeplante Ausfälle in der Häufung wie im abgelaufenen Geschäftsjahr dürfen nicht mehr
vorkommen, da müssen wir besser werden! Daher werden sich unsere Forschungs- und
Entwicklungsaktivitäten künftig noch viel stärker darauf konzentrieren, die operativen Prozesse
zu optimieren.
Wenn wir von Herausforderungen sprechen, müssen wir auch über Märkte reden. Unser Geschäft wird
von verschiedenen Marktentwicklungen beeinflusst, die wir nicht oder nur schwer steuern können.
Aufmerksam verfolgten wir im letzten Jahr Themen wie den globalen Kapazitätsaufbau auf Minen-
und Hüttenseite, eine – insbesondere durch Handelskonflikte beeinflusste – sich abschwächende
globale und europäische Wirtschaft sowie eine damit verbundene abflauende weltweite
Metallnachfrage. Auch wenn wir einige der Effekte als eher temporär ansehen und angesichts der gesunden
Fundamentaldaten der Metallmärkte positiv in die Zukunft blicken, so müssen wir doch festhalten:
Um auch in herausfordernden Zeiten erfolgreich am Markt agieren zu können, ist es entscheidend,
dass wir uns intern effizienter aufstellen und unsere strategische Ausrichtung weiter
vorantreiben.
HABEN SIE DENN SCHON MASSNAHMEN FESTGELEGT, DIE IHRE ERSTEN JAHRE BEI AURUBIS PRÄGEN WERDEN?
Harings: Ein klares Ja. Natürlich wird unsere Multi-Metall-Strategie im Fokus meiner Aufmerksamkeit stehen und damit verbunden die erfolgreiche Integration der Metallo-Gruppe. Dazu zählt für mich aber auch, eine sinnvolle Lösung für unser Segment Flat Rolled Products zu finden, nachdem die Europäische Kommission den Verkauf im Februar 2019 untersagt hat. Wir halten an unserer Verkaufsabsicht fest! Sobald wir damit auf dem richtigen Weg sind, werden wir auch wieder stärker Wachstumsmöglichkeiten im Ausland in Angriff nehmen. Denn mit verfügbaren Mitteln von mehr als 1 Mrd. € haben wir die finanziellen Möglichkeiten dafür.
Und ich sprach vorhin schon einmal von unserer Kostenbasis. Wir haben mit unserem Top-down-Effizienzsteigerungsprogramm und dem Aurubis Operating System, kurz AOS, in den letzten drei Jahren wichtige Projekterfolge erzielt, wobei wir Ineffizienzen aufgedeckt und unsere kontinuierliche Entwicklung vorangetrieben haben. Unsere internen AOS-Berater werden dies auch zukünftig konzernweit als Group Process Management kontinuierlich fortsetzen. Wir wollen unsere Prozesse weiter verschlanken und die Digitalisierung im Konzern vorantreiben.
Doch künftig werden wir noch einen Schritt weitergehen und den Fokus stärker auf die Kostenseite legen. Wir werden hierfür an allen Standorten entsprechende Maßnahmen identifizieren, sodass wir im Anschluss zügig damit beginnen können, diese umzusetzen. Selbstverständlich planen wir in regelmäßigen Abständen darüber zu berichten. Wichtiger für mich ist allerdings, dass wir die Resultate im Unternehmenserfolg sehen.
Lassen Sie uns zum Schluss noch mal das Thema wechseln. Was begeistert Sie an Aurubis am meisten?
Harings: Da fallen mir viele Dinge ein. Vorneweg die Menschen. Ich habe inzwischen die meisten unserer Standorte besucht und bin begeistert von dem Elan, mit dem die „Aurubianer“ ans Werk gehen, und dass viele Kollegen mit immer wieder neuen Ideen auf mich zukommen. Und dann sind da natürlich unsere Produkte, unsere Metalle. Wir sind wirklich dort, wo Zukunft entsteht. Kupfer ist das Metall der Energiewende. Erneuerbare Energien benötigen bis zu zwölfmal mehr Kupfer als herkömmliche Energiesysteme. Und wir produzieren dies schon heute zu großen Teilen aus recyceltem Material und weltweit unter den strengsten Umweltstandards. Und speziell im Recycling sehe ich noch großartige Chancen für Aurubis.
Und was wünschen Sie sich persönlich für das laufende Geschäftsjahr?
Harings: Ich würde mich freuen, wenn die positiven Nachrichten wieder stärker dominieren. Wir haben 2018/19 umfangreich in unsere Anlagen investiert und viel dazugelernt. Die operative Performance des Unternehmens muss sichergestellt werden. Zusammen mit allen Aurubis-Mitarbeitern wollen wir als Vorstandsteam das Unternehmen in eine erfolgreiche Zukunft führen. Wir sind uns sicher: Das Potenzial ist da! Ich persönlich werde all meine Kraft dafür einsetzen, dieses auch umzusetzen. Und wenn wir uns alle auf unsere Stärken besinnen, wird es uns auch gelingen.
„Zusammen mit allen Aurubis-Mitarbeitern wollen wir als Vorstandsteam das Unternehmen in eine erfolgreiche Zukunft führen.“
Das Interview führte Angela Seidler, Vice President Investor Relations & Corporate Communications.